GOOD PRACTICE – Diversity Management

 

Der Mülheimer Dr. Frank Hoffmann praktiziert seit Jahrzehnten als niedergelassener Gynäkologe erfolgreich in seiner (Gemeinschafts-)“Praxis für Frauen“ in Duisburg-Walsum und Duisburg-Vierlinden. 2011 gründete er außerdem das Sozialunternehmen „discovering hands“. Frank Hoffmann führt bis heute die discovering hands gUG, deren Tochtergesellschaft discovering hands Service GmbH das operative Geschäft verantwortet. Firmensitz ist das Mülheimer Haus der Wirtschaft. Als Praxisinhaber und Geschäftsführer der guG stemmt der stark engagierte Unternehmerspionier zumeist eine 60-Stunden-Woche. In diesem Interview schildert er, wie aus einer spontanen Idee ein auf drei Kontinenten aktives Unternehmen entstand, in dem Diversity eine zentrale Rolle spielt.

Competentia MEO: Sie sind als Sozialunternehmer mit discovering hands sehr erfolgreich. Was hat Sie als niedergelassenen Frauenarzt dazu bewogen, dieses zweite Unternehmen zu gründen?

Dr. Frank Hoffmann: Der Anlass war, dass ich in meiner Praxis bei den jährlichen kurzen Tastuntersuchungen der Brust im Rahmen der Krebsvorsorge nie ganz sicher war, ob ich auch wirklich alles Auffällige getastet hatte. Brustkrebs ist aber im Frühstadium entdeckt viel besser heilend behandelbar. Eines Morgens kam mir die Idee, dass blinde Menschen mit weit überlegenem Tastsinn diese Aufgabe viel besser ausführen könnten. Das war die Initialzündung für discovering hands. Mit fachlichen und finanziellen Unterstützer:innen entwickelte ich ein Curriculum für die Ausbildung von spezialisierten Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen (MTU).

Wir haben bisher über 80 blinde und stark sehbehinderte Frauen für diesen medizinischen Assistenzberuf qualifiziert und in einen inkludierenden Job auf dem 1. Arbeitsmarkt gebracht. Die meisten MTU sind fest bei discovering hands angestellt und per Arbeitnehmerüberlassung bundesweit in etwa 100 Partner-Praxen und -Kliniken mit dieser weltweit nur von uns angebotenen Diagnosemethode, der „Taktilographie“ aktiv. Weitere MTU arbeiten bisher in Österreich, der Schweiz, und in Indien. Pilotprojekte haben den Einsatz von MTUs in Kolumbien, Mexico und Nepal erfolgreich erprobt.

Competentia MEO: Diversität ist für Ihr Inklusions-Unternehmen die Grundlage. Wie ist Ihre Beschäftigtenstruktur? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht, Menschen mit Schwerbehinderung auszubilden und zu beschäftigen?

Dr. Frank Hoffmann: Richtig, ausschließlich Menschen mit sehr geringer Sehfähigkeit oder vollständiger Erblindung und deshalb exzellent trainiertem Tastsinn können als MTU arbeiten. Unser „USP“ besteht darin, dass so Menschen aus ihrer Schwerbehinderung ein einzigartiges Talent machen, das im besten Fall Leben rettet. Eine ehemalige MTU arbeitet inzwischen aus gesundheitlichen Gründen in unserem Büro-Team, sie koordiniert die Einsätze der MTU in den Praxen. Unsere anderen derzeit 13 Teammitglieder in der gUG und der GmbH haben keine Schwerbehinderungen. Im Berliner discovering hands Zentrum arbeiten jedoch auch zwei Menschen mit Schwerbehinderung am Empfang.

Competentia MEO: Was sind die größten Herausforderungen seit der Gründung von discovering hands?

Dr. Frank Hoffmann: Eine große Herausforderung war und ist, genug für die Tätigkeit der MTU geeignete Frauen zu finden, die auch eine hohe soziale Kompetenz erfordert. Im Team gab es nie Probleme: Ob beeinträchtigt oder nicht, wir alle arbeiten einvernehmlich zusammen. Die sehenden Kolleg:innen haben rasch gelernt, dass Blindheit nur EINE Eigenschaft eines Menschen ist und dass unsere MTU sehr selbständig leben und arbeiten können. Aufwändig war, die Qualifizierung zur MTU passgenau für stark sehbehinderte Menschen zu gestalten.

Zu Beginn war es schwierig, den Frauenärzt:innen zu vermitteln, dass die Tastuntersuchung durch eine MTU die Früherkennung von Brustkrebs signifikant verbessert: Wie mehrere wissenschaftliche Studien jedoch inzwischen gezeigt haben (zurzeit läuft eine weitere mit der Berliner Charité), können MTU bis zu 50 % kleinere und bis zu 30 % mehr verdächtige Veränderungen in der Brust tasten als Gynäkolog:innen. Auch die Radiolog:innen bezweifelten zunächst, dass die Taktilographie eine sinnvolle ergänzende Diagnosemethode zum ärztlichen Abtasten der Brust und zur bildgebenden Diagnostik ist. Sie erhöht jedoch als zusätzliche Diagnostik nachweislich die Chance, Brustkrebs frühestmöglich zu entdecken, da auch die Mammographie nicht 100 Prozenz aller bösartigen Veränderungen sicher auffindet.

Zurückgeworfen hat uns die Corona-Pandemie, aber nun sind wir wieder stabil aufgestellt und expandieren wieder; wir haben unter anderem jüngst ein Tastdiagnostikzentrum in Hamburg eröffnet. Eine ständige Aufgabe unserer gemeinnützigen Muttergesellschaft besteht darin, genug finanzielle Unterstützung für unsere Ausbildungsstipendien einzuwerben. Wir bilden ab Herbst wieder aus und brauchen finanzielle Unterstützung, damit mehr blinde Frauen eine Aussicht auf einen erfüllenden Job bekommen! Wir suchen hierfür Interessentinnen für die Ausbildung auch aus dem Ruhrgebiet.

Competentia MEO: Was raten Sie anderen, die erwägen, Menschen mit Beeinträchtigung einzustellen oder sogar basierend auf deren besonderen Talenten ein Unternehmen zu gründen?

Dr. Frank Hoffmann: Wir schreiben mit unserem Sozial- und Inklusionsunternehmen eine vorbildliche Erfolgsgeschichte im Gesundheitswesen und wurden immer wieder mit namhaften Preisen, zuletzt dem msd-Gesundheitspreis, ausgezeichnet. Ich kann andere Unternehmer:innen nur ermuntern, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen: Sie sind großartige Mitarbeitende! Es bestehen viele Möglichkeiten, ihre Eignung zunächst in Praktika, Probezeiten oder in von Werkstätten für Menschen mit Behinderung ausgelagerten Außenarbeitsplätzen zu testen. In Zeiten des enormen Fachkräftemangels sollten Gründende und Firmenchefs unbedingt dieses große Potential nutzen. Um die Arbeitsplätze passend zu gestalten, gibt es mannigfaltige Beratungen und finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten. Und, ganz wichtig: Eine gleichberechtigte berufliche Teilhabe sollte heute jedem am Herzen liegen.

Dr. Frank Hoffmann ist ein eindrucksvolles Beispiel für innovative und verantwortungsvolle Unternehmer:innen. Aus seiner Ursprungsidee hat er mit großer Ausdauer, Optimismus und Resilienz ein Sozialunternehmen geschaffen, das Menschen mit Schwerbehinderung ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft (zurück-)gibt. Diversity versteht der Geschäftsführer nicht als Hemmnis, sondern als Voraussetzung für Erfolg. Der Mülheimer lebt seine Vision und ermutigt andere dazu, ihren beruflichen Traum in die Tat umzusetzen.

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Imelda Alfred

Team- & Projektassistentin